(IP) Hinsichtlich Leitlinien zum Umgang mit Wohnraumkündigungen infolge Eigennutzung wegen Berufs- oder Geschäftsbedarfs hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden. Im Leitsatz sagten die Richter: „Die Beurteilung der Frage, ob ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses im Sinne von § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegt, entzieht sich einer verallgemeinerungsfähigen Betrachtung ... Sie erfordert vielmehr eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls.“

„Dies gilt auch für die Geltendmachung eines Berufs- oder Geschäftsbedarfs. Es ist nicht zulässig, eine solche Fallgestaltung als ungeschriebene weitere Kategorie eines typischerweise anzuerkennenden Vermieterinteresses an der Beendigung eines Wohnraummietverhältnisses zu behandeln und von einer an den Einzelfallumständen ausgerichteten Abwägung der beiderseitigen Belange abzusehen.“

„Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung ist allerdings im Hinblick auf die vom Gesetzgeber zum Schutz des Mieters eigens geschaffene Härteregelung des § 574 BGB zu beachten, dass die besonderen Belange des Mieters im Einzelfall (individuelle Härte) erst auf Widerspruch des Mieters und nicht schon bei der Abwägung der gegenseitigen Belange im Rahmen der Beurteilung, ob ein berechtigtes Interesse für die Kündigung vorliegt, zu berücksichtigen sind. Auf Seiten des Mieters sind daher - anders als bei den Vermieterinteressen, die vollständig einzufließen haben - (nur) die unabhängig von seiner konkreten Situation bestehenden Belange in die Abwägung einzustellen, also das generell bestehende Interesse, die Wohnung und damit den Lebensmittelpunkt nicht zu verlieren und nicht mit den unbeträchtlichen Kosten und anderen erheblichen Unzuträglichkeiten belastet zu werden, die ein Wohnungswechsel in der Regel mit sich bringt“.

Der Beklagte war seit langem Mieter einer Zweizimmerwohnung in Berlin. Die Klägerin hatte die Wohnung durch Zuschlag im Rahmen einer Zwangsversteigerung erworben und war als Vermieterin in den Mietvertrag eingetreten. Der Ehemann der Klägerin betrieb nach ihrer Darstellung im ersten Geschoss des Vorderhauses, in dem sich die vom Beklagten genutzte Wohnung befand, ein Beratungsunternehmen.

Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis mit der Begründung, ihr Ehemann benötige die Wohnung zur Erweiterung seines seit längerem ausgeübten Gewerbes, da die räumliche Kapazität der hierzu im ersten Obergeschoss des Anwesens angemieteten Räume ausgeschöpft sei. Die auch als Beratungsräume genutzten Büroräume seien überfrachtet mit bis an die Decke reichenden überfüllten Aktenregalen. Ihr Ehemann beabsichtige daher, in der Wohnung des Beklagten einen weiteren Arbeitsplatz samt Archiv einzurichten. Zur Verwirklichung dieses Vorhabens wolle sie ihm die vom Beklagten genutzte Mietwohnung zur Verfügung stellen.

Die Vorinstanzen hatten zunächst das Vorliegen eines Kündigungsgrundes bejaht, weil der von der Klägerin geltend gemachte Bedarf an der vermieteten Wohnung für die berufliche Tätigkeit ihres Ehemannes ein berechtigtes Interesse darstelle, das dem Kündigungstatbestand des Eigenbedarfs gleichstehe. Die auf Räumung und Herausgabe gerichtete Klage hatten die Gerichte allerdings im Hinblick auf die in Berlin in Kraft getretenen Vorschriften betreffend die Zweckentfremdung von Wohnraum abgewiesen. Mit der Revision verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter.

Das Originalurteil kann hier abgerufen werden:

BGH, Az.: VIII ZR 45/16

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